www.wilkhahn.de, Februar 2006


Carsten Gliese – "Modell Osthaus"
Ausstellung bis zum 02.04.2006 im Karl-Ernst-Osthaus-Museum der Stadt Hagen

Eine der höchstdotierten Auszeichnungen für aktuelle Kunst in Deutschland ist der Karl-Ernst-Osthaus-Preis. Die Stadt Hagen prämiert damit raumbezogene Projekte von Künstlern für die große Halle des gleichnamigen Museums. In der aktuellen Preisrunde ist es das Projekt "Modell Osthaus" des Kölners Carsten Gliese, das die Architektur erweitert und vielschichtig erlebbar macht.


"Modell Osthaus" – der Titel der Installation mag vordergründig in die Irre führen, handelt es sich doch bei der jetzt der Öffentlichkeit vorgestellten Arbeit um einen Bildteppich. Er ist wie klassische Teppiche mit zentralem Ornament, Fond, Bordüre und Nebenornamenten aufgebaut. Doch die Ornamente sind nicht bloßes Dekor, sondern spiegeln den ausdifferenziert gestaffelten Museumsraum wider, in dem sich die Installation befindet. Sie sind zusammengesetzt aus computerbearbeiteten Fotografien einzelner Architekturbestandteile. Wie in anderen Arbeiten bearbeitet Gliese die Projektion räumlicher Elemente in die zweidimensionale Fläche der Fotografie und komponiert daraus neue Zusammenhänge.

Der Bildteppich ist "Modell", indem er ein Instrument zum Nachvollziehen des ihn umgebenden, vorgefundenen Raumes ist. Er liegt inmitten einer Folge von Treppen und Balustraden und ermöglicht dadurch die Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven, deren Vielfalt gleichzeitig im Bild zu sehen ist. Die Doppeldeutigkeit des Begriffs Modell, neben dem Abbildungscharakter auch Neukonstruktion zu sein, kommt hier voll zum Ausdruck. Als räumlich angelegtes Bild löst die Bodenarbeit genau diejenige Raumgrenze auf, die als ebene Fläche architektonisch am stärksten limitiert ist; Glieses Teppich erzeugt genau dort eine räumliche Staffelung und Tiefenwirkung, wo die Benutzbarkeit sonst keine erlaubt: am Boden.

Schon beim Betreten bemerkt der Besucher eine Verunsicherung durch das sanfte Schwimmen auf museums-untypisch weichem Grund. Weich verschwimmt hier auch die Trennung zwischen hoher Kunst und Kunsthandwerk. Glieses Eingriff vereinigt wie im angrenzenden Altbau, dem von Osthaus gegründeten ursprünglichen Folkwang-Museum, Architektur, Kunst und Kunsthandwerk zu einer Einheit. Indem Gliese mit seinen fragmentierten Perspektiven die Einheit des Raums wieder aufbricht, zeigt sich seine aktuelle kritische Position.

Das "Modell Osthaus" ist auch ein Kommentar zu der frag-mentiert erscheinenden Stadt Hagen, die den Besucher auf seinem Weg zur Ausstellung mit einer geradezu monumentalen Folge von Baufachmärkten begrüßt, den Händlern der Teppichböden und industriell erzeugten Bordüren. Der "Hagener Impuls", der zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts von dem Mäzen, Kunsthistoriker und Architekturförderer Osthaus ausging, ist Fragment geblieben und lässt sich nur punktuell in den Hagener Bauten von van de Velde, Behrens oder Riemerschmid erfahren. Die Bauten liegen verstreut in der Stadt, wie auf Glieses Teppich die Architekturfragmente, und bilden doch eine Einheit.

Gleichzeitig hat das Thema des Teppichs viel weiter reichenden kulturellen Bezug. Traditionelle Teppiche des Orients waren ursprünglich Wiedergaben von Raum und repräsentierten das kosmologische Modell des Sternenzeltes. Bei Carsten Gliese taucht Weltdeutung auf dem textilen Informationsträger in ganz aktueller Weise auf, auch hinsichtlich ihrer technischen Umsetzung: Wie mit einem Tintenstrahldrucker ist die Computergrafik auf den Teppich aufgebracht.

Das "Modell Osthaus" bietet vor dem bevorstehenden Umbau des Museums noch einmal einen guten Anlass, das unge-wöhnliche Ausstellungskonzept des ehemaligen Direktors Michael Fehr mit einer neuen Facette zu erleben. Im Gegensatz zu dem verbreiteten Dogma von Museen als "white cubes" bricht es die Grenzen zwischen Alltagskultur und Kunst auf. Das Sammeln, Zusammenstellen, Ausstellen und In-Beziehung-Setzen wird selbst zum Thema. Carsten Glieses gesammelte Architekturfragmente erinnern hier an Sammlungen von Pflanzenteilen im naturhistorischen Bestand des Hauses. In mehrfacher Hinsicht ist das "Modell Osthaus" eine spannende Neuinterpretation des Karl-Ernst-Osthaus-Museums als Denkmodell.

Jan Rinke


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