afrika post, 4/2005 (Dezember), S. 59
Blickwechsel
Mit ihrer Installation Stille Post schafft die Münchner Künstlerin
Angelika Böck einen ungewöhnlichen Zugang zu Arbeiten
von fünf Künstlern der Côte d'Ivoire.
Von Jan Rinke
Sehen ist auf das Wahrnehmen von Differenzen und Ähnlichkeiten
angewiesen. Es ist ein Vergleichen, Abgleichen und
somit nie neutral und objektiv. Erkenntnisse aus der neueren
Hirnforschung belegen, dass es eine Hirnregion gibt, die
darauf spezialisiert ist, Gesichter zu erkennen, und ein Wahrnehmungsschema
für Gesichter bereits vorhanden ist, bevor ein
Mensch jemals ein Gesicht gesehen hat.
Der nie unschuldige Blick erschwert eine differenzierte Sicht
auf Unbekanntes. Aus unbefangener Distanz wird Unfähigkeit
in der Betrachtung von Kunst anderer Kulturen. Auch in Zeiten
Welt umspannender Medien sind Sehgewohnheiten längst
nicht nivelliert. Besonderheiten zu erkennen setzt sehr spezielle
Erfahrung voraus.
Traditioneller afrikanischer Skulptur haftet für Europäer Exotisches
an. Zäh hält sich der koloniale Blick westlicher Künstler
zu Beginn der klassischen Moderne. Für sie wurde das radikal
Andere mit aller Missverständlichkeit zu einer wichtigen
Inspirationsquelle. Und dieser Blick kann kaum jemandem
vorgeworfen werden, dem das Instrumentarium differenzierter
Vergleiche fehlt. .
Einen solchen Zugang hat Angelika Böck 1999 mit ihrer Installation
Stille Post geschaffen. Sie beauftragte einen Holzschnitzer
der Côte d'Ivoire, eine möglichst exakt naturalistisch
lebensgroße Porträtbüste von ihr anzufertigen. Diese Büste ließ sie dann von einem Künstler eines anderen Stammes detailgetreue
kopieren. Den selben Auftrag zum genauen Abbild der
jeweils zuletzt entstandenen Büste bekamen in der Folge noch
drei weitere Künstler.
Das Ergebnis ist leicht vorstellbar. Mit jedem Schritt verlor das
Portrait von Angelika Böck ihre eigenen Züge. Spätestens die
dritte Büste der Reihe würde jeder Europäer als afrikanisches
Gesicht lesen. Man fragt sich, ab welchem Schritt die Büste
noch Angelika Böck darstellt, ab wo die Darstellungskonventionen
der jeweiligen Stammeskunst Überhand nehmen, wessen
Portrait noch zu sehen ist, ob es sich überhaupt noch um
ein Portrait handelt oder bloß wir es nicht erkennen.
Abgrenzung und Anlehnung
Allein die Versuchsanordnung und die der Reihe von Büsten
wäre kaum eine überzeugende künstlerische Arbeit, eher eine
ethnologische Studie zu Wahrnehmung und Darstellung. Zu
Recht müsste sich die Künstlerin den Vorwurf gefallen lassen,
die Arbeiten anderer Künstler für ihr Werk zu vereinnahmen,
praktisch zu kolonialisieren.
Entscheidend für die Qualität der Installation ist die Gegenüberstellung
mit fotografischen Portraits der jeweiligen Künstler.
Neben den Bezügen und Kontrasten zu den jeweiligen
benachbarten Plastiken werden Ähnlichkeiten mit den Künstlern
selbst augenfällig. Was als eine Art Selbstportrait der Künstlerin
mit Mitteln der Konzeptkunst begann, endet mit einem Selbstportrait
des Künstlers Bidije Goure. Jedes Portrait ist zu einem
bestimmten Anteil Selbstportrait. Das Werk entsteht in einem
Wechselspiel zwischen Abgrenzung von und Anlehnung an das
Motiv, die eigene Person und kulturelle Prägungen.
Die Installation von Angelika Böck mit den Arbeiten und Fotos
von Dramane Kolo-Zié Coulibaly, Amadou Coulibaly, Dosso
N'Gouamué, Gboungué Louna Pascal und Bidije Goure schafft
eine Präsentation, in der die einzelnen Arbeiten gerade in dem
Beziehungsgeflecht der Anordnung als jeweils eigenständige
Arbeit wahrgenommen werden können. Angelika Böck bricht
und klärt Unterschiede der Kulturen, der Blickwinkel der
Künstler und Betrachter in den Büsten, in denen sich schwarze
Männer in einer weißen Frau selbst portraitieren.
»Angelika Böck