Begleittext zur Ausstellung, Graz, Oktober 2005


Martin Schmid – Noise Protection, 2005

Martin Schmid hat eine Lärmschutzwand gegen den optischen Lärm gebaut, der das Sehen von Nuancen übertönt. Zusammengesetzt ist sie aus Facepeelings, Bearbeitungen von Mode- und Lifestylemagazincovern, die seit 2002 in veränderten Anordnungen Bestandteil seiner Arbeit sind. Durch den jeweis neuen Kontext präzisiert er sie, schält neue Aspekte heraus. Das Abarbeiten am Konzept ähnelt damit dem Herstellungsprozess selbst.
Es ist eine Entdeckungsreise, die globalen Gesichter der Mode- und Lifestylewelt aufzulösen, deren Daten vom Shot über die Photoshoperfektionierung bis zum Druck die Welt mehrfach umrundet haben.
Handwerklich – mit Schmirgelpapier schleift Martin Schmid feinste Schichten von Druckfarbe und gestrichenem Papier von den Magazintiteln und nimmt ihnen, was wie ein Gesicht scheint, aber in Wirklichkeit synthetisches Ergebnis optimierter Bilderzeugung ist. Es sind austauschbare Angebote von Idealbildern der Kulturindustrie, die unsere Wahrnehmung tatsächlicher, menschlicher Gesichter konditionieren: Im Kult der Idole wird das Ansehen der Person zur Feststellung von Abweichungen fragmentiert.
Das Aufrauhen der Oberfläche, der Grenze der Gegenstände gibt Einblick in die feinsten Fasern ihrer Struktur, ihren jeweils eigenen Widerstand gegen das Angreifen und Begreifen. Martin Schmid veredelt die perfekten Massenprodukte. Indem er sie zerstört, schenkt er ihnen eine ungeahnte Individualität: Das jeweis eigene Papierweiss erscheint mit den Farbresten, Kratzspuren, Abdrücken von Werbebeilagen, herausgeschliffenen Transparenzen bis zu Löchern mal malerisch expressiv, mal pointiert komponiert, mal fast meditativ reduziert. Der Reichtum entsteht im Wegnehmen.
In der Grazer Installation setzt er die Facepeelings in ein subtiles Wechselpiel der Maßstäbe: Mit einer herkömmlichen Lärmschutzwand dringt ein Stück Landschaftsmöblierung im Autobahnmaßstab in den Raum eines Hauses in der Stadt ein, wo sie eine intime Schutzzone für die Betrachtung von Gegenständen gewährt, deren Senationen sich in mikoskopischer Strukturen bewegen. Der Maßstab der Annäherung des fast haptischen Betrachtens verhindert dabei jede Kollektivierung der Erfahrung. Das Erleben der Unteilbarkeit und Einzigartigkeit im dichten Nachspüren des Blicks kontrastiert mit dem medialen Maßstab der entfernten Bilder.
In der Gegenüberstellung der zwei ganz unterschiedlichen Abschirmungen wird am Ort der Ausstellung jeder Ansatz einer Hierarchisierung der Maßstabsebenen ad absurdum geführt.

Jan Rinke


»Steirischer Herbst 2005