www.wilkhahn.de, September 2005


Ron Arad – Meister empfiehlt Schüler: Ausstellung bis zum 28. Oktober in Münster

Junges Design zeigt die Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster. Der Stardesigner Ron Arad hat die besten Abschlussarbeiten seiner Studenten am Royal College of Art zusammengetragen – Gestaltung mit Tiefgang.


Die Arbeiten der zwölf ausgewählten Schüler des Designgurus Ron Arad haben es in sich. Sie kurieren denjenigen, der schon mit grundsätzlichen Vorbehalten in die Designausstellung geht: Ist doch der Kult der Gebrauchsgegenstände deutliches Kennzeichen für den allenthalben beobachtbaren Rückzug ins Private, für das Zerfallen einer Gesellschaft in Einzelinteressen, mit denen man es sich auf dem heimischen Sofa bequem macht. Dem Design haftet etwas äußerst Unpolitisches an, die reine Liebhaberei der Form. Wer die Produktgestaltung so schon in die Ecke des Angenehmen, letztlich aber Belanglosen geschoben hat, wartet bestenfalls auf den Klassiker des Jahrzehnts als neuen Beitrag für die private Ansammlung zeitloser Möblierung.

Doch herkömmliche Erwartungen rütteln die Starabsolventen vom Royal College of Art in London ordentlich durcheinander. Dass nicht Gebrauchswert der Maßstab ihres Talents ist, wird schnell klar. Wenn Lederbänke wie Kühe auf dem Boden liegen, das Dekor feinsten Porzellans sich auf der Unterseite der Teller versteckt und Glühbirnen samt Kabeln als Wohnzimmerbeleuchtung in Blumenvasen schwimmen, dann ist das auf den ersten Blick witzig.

Tatsächlich aber ist es Rebellion, die da passiert: Die Rippen unter dem Leder der Kuh – sehen sie nur so aus? Hoffentlich sind es keine Knochen. Wer kann schon wissen, was sich unter dem vernähten  Leder versteckt? Es ist dem Blick entzogen, nur erfühlbar. Rätselhaft wie das Innenleben einer tatsächlichen Kuh, etwa der, die für die Lederbank ihr Leben lassen musste. "Eileen" heißt sie. Und was treiben die Blumenranken unter dem Teller, während der Stempel der Manufaktur obenauf prangt? Ist das Understatement? Wohl kaum. Denn der wahre Wert des weißen Goldes bemisst sich ohnehin nicht nach dem Dekor, sondern nach der Marke, deren Anblick man bei Tisch sonst unauffällig mit blankem Speisemesser erspiegelt. Das schamhaft versteckte Blumendekor, seiner Funktion beraubt, wird auf der Unterseite sogar bedrohlich, wenn man an Adolf Loos' Bannspruch denkt, der im Ornament das Verbrechen wittert. Hier lauert es unter dem Service für das feine Bürgertum.

Wo schließlich Leuchtenkabel im Wasser ein heimeliges Aquariumdickicht bilden, da sind Gedanken an den Fön in der Badewanne  nicht fern, da wird das geäderte Lichtobjekt zur Erinnerung an Suizidgedanken. Die sind latent wohl auch bei Ron Arad vorhanden, der den Vatermord zulässt, dass ein Student einen Stuhlklassiker des Meisters zur Rennversion aufmotzt.

So unterschiedlich die Arbeiten von Ron Arads Besten auch sind, alle erzählen Geschichten. Sie sind weit mehr als nur schön. Denn sie lassen sich nicht allein über ihre Oberfläche beschreiben. Die Objekte sind subversiv, provozieren Fragen, die nicht in den eigenen vier Wänden aufhören. Sie haben, was Adorno einen "Erfahrungskern" nennt. Ganz anders als Dinge, die "unterm Gesetz ihrer reinen Zweckmäßigkeit eine Form annehmen, die den Umgang mit ihnen auf bloße Handhabung beschränkt". Die gezeigten Arbeiten erfüllen zwar Funktionen, sind mit Vergnügen benutzbar, aber das eher zur Tarnung. Es sind Parasiten, die sich als Agenten der Welt da draußen bei uns einnisten wollen.

Jan Rinke


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