www.wilkhahn.de, Mai 2005


Madness and civilization

Zukunftsszenarien für die Stadt zeigt das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt. In je einer eigenen Ausstellung konfrontiert es die Visionen des etablierten japanischen Architekturstars Kisho Kurokawa mit der Arbeit von Stefan Häfner aus dem Frankfurter Atelier Goldstein.


Vom Beginn eines neuen Zeitalters spricht Kurokawa, vom Zeitalter des Lebens, von dem das Zeitalter der Maschine sukzessive abgelöst werde. Um seinen Anbruch zu befördern, habe er die Metabolistenbewegung mit ins Leben gerufen. Nicht mehr einem allüberspannenden System gelte es sich unterzuordnen, sondern dem vielfältigen, reichhaltigen Leben einen Rahmen zu geben. Man sieht in der Ausstellung des DAM beeindruckende Modelle, ganze Städte, sein Helixstadtmodell für Tokyo von 1961, in dem das einzelne Haus, die Einheit einer Familie wie eine Zelle in einem Organismus erscheit. Locker schlendert man an den metabolistischen Stadtmodellen vorbei, sieht die Hochhäuser, Fußballstadien, Flughäfen, etwa den Kuala Lumpur Airport. Die schiere Größe der Projekte beeindruckt ebenso wie die Arbeit am Detail, das nie zufällig erscheint, sondern präzise die Gebäude rhythmisiert. Die Idee der Kapselhäuser wirkt auch nach 30 Jahren noch revolutionär. Der Nakagin-Kapselturm in Tokyo und der Sony Tower in Osaka haben nichts von ihrem frechen Ansatz eingebüßt: Häuser, deren vorgefertigte Räume an die Großstruktur angedockt werden. Zellen, die ebenso wie die Benutzer eine Lebensdauer haben, und  danach ausgetauscht werden können.

Nebenan, ein paar Schritte entfernt von Kurokawas Superlativen, baut Stefan Häfner an seinem Modell der Zukunftsstadt. Und die ist wie bei Kurokawa in den 60ern aufgeständert. Wegen der zunehmenden Häufigkeit von Hochwasser hat er sie auf Stützen gestellt, in der dritten Etage beginnt dann erst das dichte Stadtgebilde – natürlich mit dem Keller. Die Beine des Modells waren erst nur aus Pappe, jetzt sind es Kunststoffröhren. Die halten mehr aus. Die Stadt auf den Stützen war gewachsen und drohte abzusacken. Es gab ein Problem und Häfner fand die Lösung dazu. Überhaupt kennt er viele Probleme in seiner Stadt, diesem irrwitzigen Konglomerat, dem Über- und Nebeneinander von Stahlwerk, Bank, Schnellimbiss und Zahnarztpraxis. Hochspannend ist der reichhaltige Schatz an Details, an Problemen und Problemlösungen, an Umwegen, Improvisation und Kompromissen. Schnell merkt man, dass da ein Pragmatiker am Werk ist. Häfner kennt die Probleme seiner Stadt, weil er das Leben darin kennt. Die Katastrophe ist mitgedacht, wenn Häfner nun an Feuerwache und Krankenhaus baut. Und irgendwann geht einem auf, dass Stefan Häfner selbst wohl in seiner Modellstadt lebt. Jeden Raum kennt er und kann ihn erklären, die Ausstattung und Farbgebung.

Es ist ein ungleiches Paar, das im DAM gleichzeitig präsentiert wird. Hier der Stararchitekt, dort der verschrobene Modellbauer. Hier der Visionär, der von dem anbrechenden Zeitalter des Lebens spricht – dort der Künstler, der in einer Modellstadt lebt, in der das aufregende Leben schon Wirklichkeit zu sein scheint. Dem DAM ist mit der Kombination der beiden Ausstellungen ein großartiger Dialog gelungen. Es wäre der Kurokawa-Ausstellung zu wünschen, immer von Stefan Häfners Zukunftsstadt begleitet zu werden. Kurokawas kühle  Architektur aus Stahl, Beton, Glas und Kunststoffkapseln muss sich in Frankfurt die Gegenposition von Häfners Buntheit gefallen lassen. Die rationale Durchgliederung und Präzision braucht die Irritation durch Chaos und Improvisation. Häfner plant im Stadtmodell selbst den Feuerlöscher ein. Kisho Kurokawa zeigt seine Arbeit in anderen Maßstäben. Die Präsentation, in der man durch die Lupe fingergroße Hochhausmodelle betrachtet, während man auf den bodenfüllenden Skizzen des Altmeisters spazieren geht, lässt ahnen, dass Menschen hier eher in der Quantität von Stadienbevölkerungen vorkommen. Die Frage, wer hier eigentlich der Verrückte von beiden ist, beschäftigt den Museumsgast nach dem Besuch noch eine ganze Weile. Und wer sich von Häfners räumlichem Einfallsreichtum anstecken lässt, geht gut gelaunt mit der Ahnung aus der Ausstellung, dass Stadt aufregender und skurriler sein kann als jede wohlorganisierte Megastruktur – und als unsere tatsächlichen Städte.

Jan Rinke


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