Text für die Blickachsen 5, Bad Homburg, April 2005


Wir leben in Vorstellungen, versuchen uns zu organisieren – Ich schaue auf den Boden um den Himmel zu sehen.

Nikolaus Koliusis – Sur face, 2005

Wir bewegen uns auf der Oberfläche dessen, was wir sehen. Wir sehen, was unseren Vorstellungen von der Welt entspricht. Wir stellen uns eine Landschaft vor – eine Fläche. Sie ist das Produkt der Schwerkraft, der Kraft, die uns mit den Füßen gegen den Boden drückt. Sie ist das Sachliche, das so-ist-die-Welt: dort oben, da unten. So ist die Welt und so bleibt sie. Und dieses Oben und Unten bestimmt unsere Vorstellung von dem Gesicht der Welt. Die Landschaft – sie ist die senkrechte Ebene zur oben-unten-Achse. Die Welt eine Scheibe.

Wir richten uns in dieser Welt ein, lassen uns und unser Handeln von den Notwendigkeiten bestimmen. Schwerkraft – oben – unten.

Die Landschaft, wie sie tatsächlist ist, ist keine Scheibe. Sie ist eine Abweichung von unserem Vorurteil. Aber prinzipiell ist sie eben. Sie erstreckt sich horizontal. Wir beschreiben sie nach vorn, nach links und rechts und nach hinten. Nach den Richtungen unseres Horizonts. Unser Horizont bestimmt unsere Sicht der Welt. Unsere Sicht, die an der Oberfläche bleibt.

Nikolaus Koliusis legt Spiegel auf den Boden, sie durchbrechen die Landschaft, durchbrechen das Oben und Unten. Ich schaue auf den Boden und sehe den Himmel. Einmal, zweimal, mehrfach. In Façetten. Der Himmel ist über und unter mir. Und er ist gekippt. Was ich sehe, weicht von dem ab, was das Gefühl der Schwerkraft mir sagt. Ich sehe mich konfrontiert mit Sichtweisen der Welt. Die Eindeutigkeit des Oben und Unten schwindet. Mir wird schwindelig, bis ich lerne, die eine Sichtweise, meine Sichtweise, in Dialog zu setzen mit den anderen Sichtweisen. Meine Sichtweise des Oben und Unten ist nicht absolut, es gibt andere. Die anderen Sichtweisen kontrastieren, was vorher ohne Kontrast blind war. Das andere macht klarer, was das eigene ist. Das Aufheben der Schwerkraft läßt die Schwerkraft neu erfahren. Den Punkt an dem die Schwerkraft mich mit den Füßen gegen den Boden drückt. Mein Standpunkt.

Jan Rinke 6.4.05


»Nikolaus Koliusis
»Blickachsen 5